Samstag, 7. Juni 2014

Alltagserfahrungen: das barrierefreie Hotelzimmer

Ich bin gerade aus der Schweiz zurückgekommen, wo ich aus beruflichen Gründen einige Tage in einem Luxushotel verweilen durfte, genauer gesagt im Intercontinental Hotel in Davos. Dieses brandneue, wunderschön gelegene Hotel verfügt nicht nur über Annehmlichkeiten aller Art, sondern auch
über sechs barruerefreie Zimmer, im Hotel-eigenen Jargon "rooms with accessibility standars" genannt.

In diesem Beitrag möchte ich einige Erfahrungen und Beobachtungen aus meinem Aufenthalt in Davos zusammenfassen. Beim Lesen solltet ihr aber im Hinterkopf behalten, dass die genannten Probleme sich nicht spezifisch auf dieses eine Hotel beziehen, vergleichbare Probleme habe ich auch in anderen Hotels festgestellt.


Alarm! Alarm! Alarm!


Vorweg erstmal eine durchaus positive Erfahrung: gleich am ersten Abend gab es ein wenig Abenteuerurlaub frei Haus. Wenige Minuten vor dem Abendessen ertönte der Feueralarm, komplett mit Evakuierung des gesamten Hotels. Und auch wenn das Ansagesystem doch gewisse Schwächen aufweist, das Personal war definitiv auf Zack. Kurz nach dem Alarm stand eine nette Hotelangestellte vor meiner Tür und hat mich nach draußen begleitet, wo auch schon andere Mitarbeiter für Ordnung sorgten. Nicht, dass ich sonst vergessen worden wäre, aber es war eine nette und wichtige Geste. Und auch sonst habe ich mit dem Personal exzellente Erfahrungen gemacht.


Barrierefreiheit im Hotelzimmer


Nicht so prickelnd war dagegen das so genannte "barrierefreie Hotelzimmer". Einige Anmerkungen:

  • Wer das Zimmer betritt und nach dem Lichtschalter tastet. dessen Hand trifft als erstes auf ein Touchpad, das ohne interpretierbare akustische Rückmeldung mysteriöse Zeichen neben der Zimmertür aufleuchten lässt. Dieses Touchpad hat die gleiche Größe wie ein Lichtschalter. Direkt darunter befindet sich der Hauptlichtschalter, wiederum darunter befinden sich zwei einzelne Schalter für die Raumbeleuchtung.

  • Wer in den Hauptbereich des Zimmers kommt und linkerhand nach dem dort für gewöhnlich angebrachten Lichtschalter tastet, dessen Hand trifft auf ein Touchpad zur Steuerung der Klimaanlage, die man mit der ersten Berührung auch direkt verstellt.

  • Auf beiden Seiten des Bettes ist dort, wo eigentlich der Lichtschalter zu erwarten wäre, ein Alarmtaster angebracht, in Form eines Lichtschalters und ohne jegliche taktile Kennzeichnung. Dieser wird übrigens noch ergänzt durch mehrere ebenso ungekennzeichnete Kordeln, die anscheinend ebenfalls eine Alarmfunktion haben. Laut Haustechniker lassen sich diese Alarmfunktionen nicht abschalten.
    Im eigentlichen Zimmer befanden sich zwei Telefone, die aber leider beide nicht funktioniert haben. Das kabelgebundene Telefon war einigermaßen bedienbar, wenn ich nur gewusst hätte, wie man andere Zimmer anruft oder die Rezeption erreicht. Das ebenfalls bereitgestellte Schnurlostelefon war ein solch wohlgestaltetes Designobjekt, dass es für fühlbare Tasten wohl nicht mwehr gereichht hat. Ich jedenfalls konnte den Knopf zum Abnehmen bzw. Auflegen nicht finden.
  • Das in diesem Zimmer keine einzige taktile Markierung vorhanden war, von Hinweisschildern, Anleitungen oder Menüs in Brailleschrift mal ganz zu schweigen, muss man wohl kaum noch erwähnen.

  • Ein weiteres Highlight waren die Fahrstühle. Antiquitäten wie Knöpfe im Fahrstuhl zur Wahl des Stockwerkes darf es bei so viel Modernität natürlich nicht geben. Rauf Richtung Zimmer funktioniert es einigermaßen: man hält die Zimmerkarte an den Leser und der Fahrstuhl fährt einen ins richtige Stockwerk - zumindest, solange man alleine im Fahrstuhl ist, denn das Stockwerk wird nicht angesagt. Will man wieder runter, oder in ein anderes Stockwerk, so ist es mit der Selbständigkeit vorbei. Vor den Fahrstühlen hängt nämlich ein Touchpad, auf dem man das gewünschte Stockwerk wählen muss. Das ist wirklich klasse, wenn man Hilfe vom Personal braucht, um auch nur die eigene Etage zu verlassen.


Neben diesen Dingen gab es noch einige weitere Kleinigkeiten, die ich mal ganz vorsichtig als "optimierungsfähig" einstufen würde, aber lassen wir es hier mal gut sein.

Wer auch immer das Intercontinental bei der Einrichtung dieser Zimmer beraten hat, der scheint wohl fest davon auszugehen, dass der Begriff "Mensch mit Behinderung" gleichbedeutend ist mit "Mensch im Rollstuhl". Diese Tatsache ist umso peinlicher, da sie in Hotels leider mittlerweile weit verbreitet ist.

Am Ende stellt sich die Frage, wie die betreffenden Hotels das Thema "Barrierefreiheit" im Rahmen ihres Geschäftsmodells positioniert haben. Dient es lediglich als politisch korrektes Marketingargument, so sollte man es im Rahmen der Werbung vielleicht von "barrierefrei" auf "rollstuhltauglich" reduzieren, um der Realität etwas näher zu kommen. Soll es aber ein integraler Bestandteil des Designs und des Betriebskonzeptes sein, so muss dringend nachgebessert werden. Und hier liegt die wahre Ironie: die Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Gäste sind sehr viel leichter und kostengünstiger zu erfüllen als die Bedürfnisse von Gästen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Hier wurde das Pareto-Prinzip leider auf den Kopf gestellt. Ich hoffe nur, dass die Verantwortlichen hier auf Dauer Lernfähigkeit beweisen und zumindest die großen Hindernisse beseitigen.

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